Caacupé: Die Basilika von Caacupé ist jedes Jahr am 8. Dezember Schauplatz eines tiefgreifenden Rituals, das weit über den religiösen Akt hinausgeht. Wenn Monsignore Ricardo Valenzuela von der Kanzel herab die jährlichen Missstände des Landes anprangert – Korruption, politische Gleichgültigkeit, Vernachlässigung und Ungerechtigkeit – erntet er tosenden Applaus.
Die Pilger, erschöpft von ihren weiten Wegen, scheinen in seiner scharfen Kritik eine kathartische Entlastung zu finden, ein Echo ihrer eigenen Frustrationen.
Doch dieses jährlich wiederkehrende Schauspiel birgt ein tiefes Paradoxon: Obwohl die Pilger die Botschaft des Priesters begeistert annehmen und in ihrem Herzen die Wahrheit der Kritik spüren, scheint dieser Moment der Erleichterung keine nachhaltige politische Konsequenz nach sich zu ziehen.
Der Zyklus der Betroffenheit und der Wahlurne
Die Worte des Monsignore sind zweifellos kraftvoll. Er artikuliert mutig, was viele Bürger Tag für Tag erleben: Ein Staat, der sich in endemischer Korruption verfängt und die grundlegendsten Bedürfnisse der Bevölkerung ignoriert. Der Applaus ist ein echtes Ventil für den aufgestauten Ärger.
Allerdings folgt auf diese kurze emotionale Befreiung oft die erschreckende politische Amnesie. Wenn es zur Wahl geht, scheinen viele derjenigen, die in Caacupé applaudierten, dieselben korrupten politischen Eliten, die der Bischof so scharf kritisierte, erneut in ihre Ämter zu wählen. Die Wut über die Ungerechtigkeit verflüchtigt sich in der Stille der Wahlkabine.
Warum ändert sich nichts?
Die jährliche Wiederholung dieses Musters wirft ernste Fragen über die politische Reife und die gesellschaftliche Verantwortung auf:
-Die Macht der Gewohnheit und Klientelpolitik: Viele Wähler sind tief in Systemen der Klientelpolitik verwurzelt. Die kurzfristigen Vorteile – ein kleiner Gefallen, ein Job, ein Almosen – wiegen oft schwerer als die langfristigen Folgen systemischer Korruption.
-Die Illusion der Erleichterung: Der Applaus für den Monsignore dient als eine Art passive politische Beteiligung. Man fühlt sich gehört und verstanden, ohne die tatsächliche Anstrengung leisten zu müssen, die für eine politische Veränderung notwendig ist. Die Kritik wird delegiert und die eigene Verantwortung für das Wahlverhalten ausgeblendet.
-Die Dominanz der Parteien: Trotz aller Kritik bleiben die traditionellen Parteistrukturen, die der Korruption Vorschub leisten, dominant. Eine glaubwürdige, von Korruption unbelastete Alternative wird von vielen entweder nicht gesehen oder nicht gewählt.
Solange die leidenschaftliche Zustimmung zur Kritik von Monsignore Valenzuela nicht in eine aktive, konsequente und informierte Stimmabgabe umgewandelt wird, wird die Predigt von Caacupé eine tragische jährliche Wiederholung bleiben: Eine starke moralische Stimme, die auf das Echo einer paradox gleichgültigen Wählerschaft trifft. Die Pilger gehen mit dem Gefühl der Befreiung nach Hause, nur um im nächsten Wahlzyklus erneut die Fundamente für die Missstände zu legen, die sie beklagen.
Wochenblatt / Beitragsbild Archiv















