Das große Fest der Masken: Wenn die Scheinheiligkeit Hochkonjunktur hat

Asunción: Es ist wieder so weit. Pünktlich zum 24. Dezember verwandelte sich Paraguay in ein Land der “Gutmütigen“. Die Städte leeren sich in einer gewaltigen Völkerwanderung Richtung Campo, die Busse quellen über, und die Straßen sind verstopft mit Autos voller Menschen, die ihre Verwandten auf dem Land besuchen.

Doch wer genau hinsieht, erkennt hinter der festlichen Fassade ein Muster, das wenig mit Nächstenliebe zu tun hat.

Das Geschäft mit der Erwartung

Die Rückkehr zu den Wurzeln im Landesinneren ist oft weniger ein Akt der Liebe als eine logistische Umverteilung. Man besucht die Familie, man isst sich satt, und am Ende nehmen viele mehr mit nach Hause, als sie den Gastgebern im Gepäck mitgebracht haben. Es ist ein stillschweigendes Nehmen, verpackt in das Papier der Tradition.

Besonders faszinierend – oder eher erschreckend – ist die plötzliche charakterliche Metamorphose. Menschen, die das ganze Jahr über ihren Vorteil suchen, die im Alltag rücksichtslos sind und bei denen man die Hand auf dem Portemonnaie behalten muss, sind plötzlich die Sanftmut in Person. Es wird gelächelt, umarmt und vergeben. Doch wir wissen alle: Die Haltbarkeit dieser weihnachtlichen Amnesie ist begrenzt. In spätestens einer Woche, wenn die Böller von Silvester verhallt sind, wird wieder betrogen, gestohlen und der Ellbogen ausgefahren. Die Maske der Frömmigkeit fällt schneller, als der Christbaum nadelt.

Neid im Schatten der Kokusblüte

Wer glaubt, dieses Phänomen sei auf die einheimische Bevölkerung begrenzt, der irrt gewaltig. Die Einwanderergemeinschaften stehen dem in nichts nach. Im Gegenteil: Hier scheint das Fest oft zum ultimativen “Wettbewerb des Scheins“ zu verkommen. Während der schwere Duft der Kokosblüten in der Hitze steht, wird hinter den gepflegten Zäunen der Kolonien der Neid kultiviert. Wer hat das größere Haus gebaut? Wer fährt das neueste Modell? Man prostet sich mit kühlem Bier zu, während man im Stillen den Erfolg des Nachbarn taxiert und nur darauf wartet, dass die Fassade bröckelt. Weihnachten ist hier oft nur eine weitere Bühne für den Kleinkrieg der Eitelkeiten.

Akustischer Kriegszustand statt stiller Nacht

Und als wäre die soziale Scheinheiligkeit nicht schon anstrengend genug, wird sie pünktlich um Mitternacht von einem akustischen Inferno abgelöst. Was als “Feier“ deklariert wird, gleicht einem nächtlichen Kriegszustand. Unmengen an Geld werden buchstäblich in die Luft gejagt, während man gleichzeitig über die schlechte Wirtschaftslage klagt. Es wird geböllert, als gäbe es einen Feind zu vertreiben, ohne Rücksicht auf Tiere oder Kranke. Dieser ohrenbetäubende Lärm ist die perfekte Metapher für das Fest: Viel hohler Krach, um die innere Leere zu übertönen.

Herzlichkeit per Massenversand

Auch die Art der Kommunikation hat den Tiefpunkt erreicht. Persönliche Worte? Fehlanzeige. Die “herzlichsten“ Wünsche werden lieblos in den WhatsApp-Status geklatscht oder als anonyme Massennachricht an hunderte Kontakte gleichzeitig gefeuert. Es kostet keine Mühe, es bedeutet nichts, aber man hat seine “Schuldigkeit“ getan. Wir gratulieren uns gegenseitig per Pixelmüll, während wir am selben Tisch kaum noch ein echtes Gespräch zustande bringen.

Völlerei bis zum Stillstand

Gekrönt wird das Ganze von einem Geschenkerausch und einer Völlerei, die jegliches Maß verloren hat. Es wird konsumiert, als gäbe es kein Morgen. Die Tische biegen sich unter Bergen von Fleisch und Alkohol, während man gleichzeitig über die hohen Preise jammert. Es ist eine Orgie des Überflusses, die nahtlos in die Silvesterfeierlichkeiten übergeht.

Am Ende bleibt die Frage: Was feiern wir hier eigentlich? Die Geburt der Liebe oder die Perfektionierung der Heuchelei?

In diesem Sinne: Frohe Festtage – solange die Maske noch hält.

Wochenblatt

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