Der Kampf des Argentinischen Tageblatts

Sie ist eine der letzten deutschsprachigen Zeitungen in Südamerika. Seit 1889 erscheint das von der Schweizer Familie Alemann gegründete «Argentinische Tageblatt». Heute kämpft es um Leser, von 1933 bis 1945 zettelte es einen Pressekrieg in der deutschen Gemeinschaft an.

In den Redaktionsstuben geht es gemächlich zu, viel Holz, eine hektische Newsroom-Atmosphäre ist hier so weit weg wie die Heimat. Direktor und Herausgeber Roberto Alemann empfängt in seinem Büro, er ist mittlerweile 92 Jahre alt. «Immer republikanisch und freisinnig, wie sich die Liberalen in der Schweiz nennen, bis heute», ist seine Devise – er hält zum Credo seines Urgroßvaters. Das war der Schweizer Journalist Johann Alemann, der 1889 die einzige heute noch erscheinende deutschsprachige Zeitung in Buenos Aires gründete.

Und die größte noch existierende in ganz Lateinamerika. Eine Zeitung mit bewegter Geschichte, schon Gegenstand mehrerer wissenschaftlicher Arbeiten. Einen ganz besonderen Einfluss hatte das «Argentinische Tageblatt» (AT) während des Nationalsozialismus (1933-1945), als es zu erheblichen Spannungen in der deutschsprachigen Gemeinschaft kam.

Da Zehntausende Anhänger Hitlers und eine starke NSDAP-Landesgruppe, auf der anderen Seite die geflüchteten zumeist jüdischen Emigranten. «Eigentlich sind es zwei Dörfer, das republikanische und das nationalistische, die beiden Dörfer sind unübersteiglich getrennt. (…) Wir haben nämlich ein Theater, die anderen haben auch eins, wir haben jeder eine Zeitung, jeder eine Schule, Vereine, Vorträge», beschrieb der Exilant Balder Olden den damaligen Zustand am La Plata.

Das AT hatte bereits in den 20er Jahren entschieden gegen die aufkommende Nazi-Bewegung Stellung bezogen. Unter den Emigranten fehlte es dann nicht an Journalisten, die sich für eine Stelle im AT bewarben. Der Schriftsteller Paul Zech gehörte zu den Mitarbeitern der Zeitung, der ehemalige Redakteur der Wiener «Neuen Freien Presse» Theodor Brüll war über 20 Jahre lang ihr Chefredakteur.

Mit der «Deutschen La Plata Zeitung» (DPLZ) lieferte man sich einen «Pressekrieg», nirgendwo sonst auf der Welt prallten zwei diametral ausgerichtete deutschsprachige Zeitungen in der Zeit so aufeinander. Das AT bezeichnete das damals auflagenstärkste deutsche Blatt in Argentinien als «subventioniertes Nazipapier» und «Goebbelsorgan».

Es kam zu Attacken gegen Redakteure des AT, die einmal auf der Straße verprügelt wurden, und zu einem Anschlag auf die Druckerei. Die DLPZ keilte zurück und sprach angesichts der frühen AT-Berichte über Konzentrationslager und Judenverfolgungen im «Dritten Reich» von «Pressereptilien», die eine Hetzpropaganda betreiben würden, «die sich mit Jauche besudelt». 20 000 Deutsche feierten unter riesigen Lettern «Ein Führer» im April 1938 im Luna-Park-Stadion zu Buenos Aires den «Anschluss» Österreichs an das Reich.

Entscheidend war der damalige Herausgeber Ernesto Alemann an der Gründung der Pestalozzi-Schule 1934 in Buenos Aires beteiligt, als Gegenpol zu den anderen «gleichgeschalteten» deutschen Schulen. «Als man uns Ende 1933 auf einer Schulfeier aufforderte, den rechten Arm zum Nazigruß zu strecken und das Horst-Wessel-Lied zu singen, nahm uns mein Vater am nächsten Tag aus der Goethe-Schule raus», erinnert der damals zehnjährige Roberto Alemann. Sein Vater veröffentlichte im AT einen Aufruf, eine neue Schule zu gründen. Im nächsten Jahr wurde die bis heute bestehende Pestalozzi-Schule in Buenos Aires eröffnet.

Nicht nur die Nationalsozialisten übten Druck aus, auch von der Regierung Juan Domingo Peróns (1945-55) wurde das AT später kritisch beäugt. Es wurde mehrfach unter Druck gesetzt und zeitweise geschlossen. Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre waren es dagegen die Alemanns, die auf der Seite der Regierung standen – eine Entscheidung, die bishe heute umstritten ist. Roberto Alemann war Wirtschaftsminister der Militärregierung und erlebte in dieser Funktion den Falkland-Krieges 1982 gegen Großbritannien mit.

Sein Bruder und AT-Mitherausgeber Juan (87) war während der Diktatur von 1976 bis 1981 Schatzsekretär, eine Art Finanzminister. Er überlebte einen Anschlag der linksperonistischen Montonero-Guerilla und war auch Opfer von Bombenanschlägen, die mutmaßlich von Marine-Offizieren gegen ihn gerichtet waren, wegen seiner Kritik an den hohen Ausgaben für die Fußball-WM 1978 in Argentinien.

Die sinkende Leserschaft führte bereits 1981 zur Umwandlung in ein Wochenblatt. «Wir behielten jedoch den Charakter einer Tageszeitung, deshalb haben wir den Namen nicht geändert», erklärt Roberto Alemann. Ein Jahrzehnt später wurde die Druckerei geschlossen, die lange Zeit durch Fremdaufträge eine wichtige Erwerbsquelle war. Das AT startete auch einen Internetauftritt und gewann zu der Print-Auflage von heute rund 10 000 Exemplaren neue Leser hinzu. «Nachdem wir die Zeitung auch im Internet haben, wird unsere Wirtschaftsseite stark in Deutschland gelesen», betont Mit-Herausgeber Juan Alemann.

Deutsche Unternehmen, die in Argentinien präsent sind, beziehen die zahlpflichtige Online-Ausgabe. Der Zugang sei besonders mit der Staatspleite Argentiniens von 2001 angestiegen. Viele Deutsche hatten argentinische Wertpapiere und wollten wissen, wie es weiter geht. Da bot sich das AT an; als fast einzige deutschsprachige Quelle mit einem ausführlichen wöchentlichen Wirtschaftsbericht aus Argentinien, den die Herausgeber bis heute persönlich verfassen.

Aber nach vier Generationen der Familie Alemann erscheint die Zukunft ungewiss. Die sinkende Leserschaft ist nicht die größte Sorge, sondern das Fehlen journalistisch interessierter Nachfolger in der Familie. «Die Kontinuität ist weg», gibt Juan Alemann nüchtern zu. «Wenn wir nicht mehr da sind, muss man das Tageblatt neu erfinden.»

CC
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